Frank Ruddigkeit

Frank Ruddigkeit wurde 1939 in Grenzberg (Pridoroschnoje) geboren, das damals im ostpreußischen Landkreis Elchniederung und heute im russischen Oblast Kaliningrad liegt. Seine zunächst unbeschwerte Kindheit im Schutze ländlicher Abgeschiedenheit endete in den letzten Kriegsmonaten jäh. Mit Mutter und Bruder irrte er in einer fast vier Jahre währenden Odyssee durch Ostpreußen – zunächst im Chaos der Flucht, dann interniert auf einem nun russischen Gutshof in der Nähe von Tilsit, um dort landwirtschaftliche Arbeit zu leisten. Statt die Schule zu besuchen, musste der musisch veranlagte Junge arbeiten und vor der Zeit selbstständig werden. In den Wirren und Schrecknissen dieser Zeit rettete ihn der Gesang, mit dem er bei kleinen Auftritten ein paar Rubel hinzuverdiente.

1948 kam die Familie in Engelsdorf bei Leipzig wieder mit dem Vater zusammen und fand dort eine neue Heimat. Der nun neunjährige Ruddigkeit besuchte hier zum ersten Mal eine Schule. Sein Weg schien zunächst zur Musik zu führen. Der damalige Kantor der Kirche Sommerfeld nahm den Schüler unter seine Fittiche und gab ihm professionellen Gesangsunterricht, ging jedoch bald in den Westen – der Weg war damals noch offen.

Ein kunstverständiger Sportlehrer bemerkte kurze Zeit später, dass der Junge geradezu manisch zeichnete. Er schlug ihm vor, Kunstpostkarten mit Werken großer Meister zu sammeln und sich an diesen zu orientieren. Frank Ruddigkeit hatte sein Metier gefunden. Nach seinem Schulabschluss reichte er eine Mappe mit Zeichnungen ein, um sich damit für die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Graphik und Buchkunst (HGB) Leipzig zu bewerben. Der gerade siebzehnjährige Ruddigkeit wurde geprüft und angenommen. In den Klassen von Hans Mayer-Foreyt (1916–1981) und Heinz Wagner (1925–2003) studierte er ab 1956 Malerei und Graphik und schloss nach seinem Diplom 1962 eine dreijährige Aspirantur an.

​Leipzig war zu Ruddigkeits Heimat geworden. Nach 1945 hatte an der HGB eine erste Generation von Künstlerinnen und Künstler wie Max Schwimmer (1895–1960), Elisabeth Voigt (1893–1977) und Walter Arnold (1909–1979) eine zweite Generation lokaler Künstlerinnen und Künstlern ausgebildet. Zu dieser zählen Maler wie Bernhard Heisig (1925–2011), Werner Tübke (1929–2004) und Wolfgang Mattheuer (1927– 2004). Sie verschafften der Leipziger Kunst neuen Ruhm und bildeten in den 1960er Jahren die nächste Generation aus, zu der neben Sighard Gille (*1941), Hartwig Ebersbach (*1940), Arno Rink (1940–2017), Gudrun Brüne (*1941) und anderen auch Frank Ruddigkeit gehört. Einer künstlerischen Schule fühlte sich Ruddigkeit trotz allem nie verpflichtet und empfand sich und sein Tun immer als eigenständig.

Für seine Arbeiten – Grafik, Buch- und Plakatgestaltung sowie Malerei – spielten Literatur und Musik schon in den ersten Jahren seiner freischaffenden Tätigkeit eine wichtige Rolle. Zur 7. Leipziger Kunstausstellung 1965, die ganz im Zeichen der Arbeiten von Heisig, Mattheuer und Tübke stand, zeigte der junge Aspirant zwei für sein Werk bezeichnende Arbeiten: das Gemälde Chaos (o.J.) und eine Lithografie Zu Georg Maurer (o.J.), dem namhaften Leipziger Lyriker (1907–1971).

Als Hans Marquardt (1920–2004), einer der bedeutendsten Verleger der DDR und langjähriger Chef des Leipziger Reclam-Verlages, damit begann über Reclams Universal-Bibliothek hinaus auch künstlerisch anspruchsvoll ausgestaltete Bücher zu verlegen, fragte er Ruddigkeit als künstlerischen Leiter an und dieser sagte zu. Die Vorstellungen des Künstlers erwiesen sich jedoch als nicht vereinbar mit der Realität eines Arbeitsalltags, der von technischen und bürokratischen Vorgaben geprägt war, und somit blieb es bei einer kurzen Stippvisite.

1974 wurde Ruddigkeit als Lehrer an die damalige Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle – Burg Giebichenstein berufen, von 1981 bis 2004 war er an der Hallenser Kunsthochschule Professor für Malerei und Grafik. Er stand als erfolgreicher Lehrer drei Jahrzehnte lang immer in engem Austausch mit den Studierenden.

 
Leipzig blieb jedoch weiter sein Lebensmittelpunkt. In der Leipziger Südvorstadt bezog er die Dachatelierwohnung, in der zuvor Werner Tübke, einer seiner ge- schätzten Lehrer an der HGB, gewohnt und gearbeitet hatte. Nach fast zwanzig Jahren hier wurde Ruddigkeit von einem DDR-typischen Problem vertrieben – das Dach war undicht und eine Reparatur nicht in Sicht. So bezog er in der Nachbarschaft von Sighard Gille und Arno Rink eines von drei städtischen Atelierhäusern in Leipzig-Schleußig.

In dieser Zeit erweiterte Ruddigkeit seine Arbeitsfelder um die Bereiche Plastik und konzeptionelle Raumgestaltung. Anfang der 1970er Jahre beteiligte er sich
an dem Gestaltungswettbewerb für den Eingang zum Hauptgebäude der damaligen Karl-Marx-Universität, eine besondere Chance, in großen räumlichen Maßstäben arbeiten zu können. Der gemeinsame Entwurf der Künstler Rolf Kuhrt (*1936), Klaus Schwabe (1939– 2017) und Frank Ruddigkeit für ein 14 Meter langes und 7 Meter hohes Bronzerelief mit dem Titel Aufbruch (1973) setzte sich gegen die anderen Einreichungen, unter anderem von Bernhard Heisig oder Gerhard Eichhorn (1927–2015), durch.
 
1974 wurde das monumentale Relief am Karl-Marx-Platz (heute wieder Augustusplatz), am Hauptgebäude der Universität angebracht, das am ehemaligen Standort der 1240 geweihten Universitätskirche St. Pauli errichtet worden war. Die im Krieg nur leicht beschädigte Kirche wurde 1968 auf Geheiß von Walter Ulbricht (1893–1973), Staats- und Parteichef der DDR, in einem Akt der Kulturbarbarei gesprengt. Das auch »Karl-Marx-Relief« genannte Werk befindet sich im Besitz der Universität Leipzig und ist im Komplex der ehemaligen Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport, dem heutigen Campus Jahnallee der Sportwissenschaftlichen Fakultät, der in seiner Gesamtheit auf der Liste der Leipziger Kulturdenkmale steht, aufgestellt. Bereits in den 1970er Jahren war Ruddigkeit hier mit dem Wandbild Kunst und Wissenschaft an der künstlerischen Ausgestaltung des Mensagebäudes beteiligt.


Doch auch im Zentrum Leipzigs sind bis heute Werke Frank Ruddigkeits präsent. Mit Marktgeschichten schuf der Künstler 1978/79 ein plastisches Leporello. Die 10 Meter lange Bronze am südlichen Eingang zur S-Bahnstation Markt – früher zum Untergrund-Messehaus – zeigt für die Stadt prägende historische Geschehnisse.

Für das neu errichtete Gewandhaus gestaltete Ruddigkeit 1981 mit dem Tempera-Wandbild Musik und Zeit eine fast überbordende Allegorie der Beziehung von Mensch und Musik von der Antike bis zur Gegenwart. Das durch den damaligen Gewandhauskapellmeister Kurt Masur (1927–2015) angeregte Polyptychon ist im Foyer des Mendelssohn-Saales zu sehen.
 
1995 fertigte Ruddigkeit die Bronzestele Christoph Arnold, als der 1650 in Sommerfeld, einem Engelsdorfer Ortsteil, geborene Bauer und Astronom Namenspatron der Schule im heutigen Leipzig-Engelsdorf wurde. Und als die Christoph-Arnold-Schule 1996 eine neue Aula bekam, gestaltete er hier auf einer circa 100 Quadratmeter großen Wandfläche vier thematische Bildwelten zu Arnold und seiner Zeit. Dabei brachte er seine Recherchen zwischen Himmel und Hölle in einer seltenen Pastellkreide-Technik als singuläre Handzeichnungen direkt auf die Wand auf.

Im Foyer des 2021 eröffneten Neubaus der Sächsischen Aufbaubank in der Nähe des Leipziger Hauptbahnhofs befinden sich drei monumentale Wandreliefs aus Gips, die 1969 für das Verwaltungszentrum des Kombinats Robotron von vier jungen Absolventen der HGB geschaffen wurden: Frank Ruddigkeit, Arno Rink, Rolf Kuhrt und Klaus Schwabe.

Mit diesen und weiteren Arbeiten hat Frank Ruddigkeit, der heute im Leipziger Musikviertel lebt, vielfältige künstlerische Spuren in seiner Stadt hinterlassen.
 

Beate Locker